Referenzen
Kreistag
Nordhausen (1990 bis 1994) – Ausschuß
für Vergangenheitsbewältigung und Petitionen
Katrin Wenkel
(in Abstimmung mit Holger Wengler)
Nachdem
jahrzehntelanges Schweigen durch die Wende im Herbst 1989 ein Ende gefunden
hatte, begannen auch die Bürger unseres Landkreises, ihnen angetanes Unrecht
in die Öffentlichkeit zu tragen und Wiedergutmachung zu fordern. Gleichzeitig
wurden Stimmen laut, die eine Untersuchung der DDR-Geschichte auf Kreisebene
verlangten.
Vom NEUEN FORUM Nordhausen wurden Anfang März 1990
per Zeitungsartikel alle die Bürger aufgerufen, die als Verfolgte und
Benachteiligte des DDR-Regimes eine Aufarbeitung ihres Schicksals für
notwendig erachteten. Das NEUE FORUM begann mit der "opferbezogenen
Aufarbeitung".
Unter
dem Druck der Dienstagsdemonstrationen wurde durch die oppositionellen
Gruppierungen über den Rat des Kreises eine zeitweilige
Untersuchungskommission zur Aufklärung von Fällen des Amtsmißbrauchs,
der Korruption, der persönlichen Bereicherung u. a. Gesetzesverletzungen ins
Leben gerufen. Diese Kommission wurde aus politischen Gründen an den
"alten" Kreistag angebunden, so daß auch
dessen Vertreter darin mitwirkten. Seine Tätigkeit beschränkte sich
allerdings nur auf ausgesprochene Vorwürfe gegen kommunale Politiker der
DDR-Zeit. Mit der Kommunalwahl 1990 endete die Arbeit der Kommission.
Mitteilung des Rates des Kreises vom 21.12.1989
Der
Kreistag Nordhausen wählte die zeitweilige Untersuchungskommission zur
Überprüfung von Fällen des Amtsmißbrauchs, der
Korruption, der persönlichen Bereicherung und anderer Handlungen von
Gesetzesverletzungen. Es wurden zwölf Mitglieder aus den Gruppierungen und
Fraktionen Neues Forum, Demokratischer Aufbruch,
Kulturbund, FDGB, NDPD, FDJ, CDU, SDP und SED-PDS bestätigt. Vorsitzender
dieser Untersuchungskommission ist der Abgeordnete Manfred Hentze, NDPD, und
der Stellvertreter Frau Adelheid Marx, NEUES FORUM. Die zeitweilige
Untersuchungskommission wird tätig auf der Grundlage von Hinweisen aus der
Öffentlichkeit des Kreises Nordhausen und erklärt ihre Bereitschaft, eng mit
den Bürgern und Bürgervereinigungen zusammenzuarbeiten.
Der
neue Kreistag war sich einig, daß in dieser
Richtung weiter gearbeitet werden muß und bildete
auf der Grundlage des Beschlusses Nr. 16-2/90 vom 05.07.1990 den Ausschuß für Vergangenheitsbewältigung und Petitionen.
Neun
Kreistagsmitglieder aller Fraktionen sowie weitere sogenannte beratende
Bürger wirkten im Ausschuß mit und nutzten die
einmalige Chance, die historisch-politische Aufarbeitung im Landkreis
voranzutreiben. Die Ausschußmitglieder waren Holger
Wengler (Vorsitzender), Andreas Treutler
(Stellvertreter), Klaus-Dieter Drick, Ernst Duddek,
Dorothea Jeske, Hans-Jürgen Jeske, Rainer Linsel,
Hans Mönnich, Dr. Eberhard Seichter sowie die
beratenden Mitglieder Jürgen Höfer und Ernst Westphal.
Neben
der eigenen Überprüfung durch die Gauck-Behörde sind ihnen wesentlich die
Überprüfungen der Kreistagsmitglieder und der Mitarbeiter des Landratsamtes
auf Tätigkeit für das ehemalige MfS/AfNS sowie nachgeordneten
Einrichtungen (K 1) anzurechnen. Weiterhin wurde mit dem Schul- und Kulturausschuß des Kreistages hinsichtlich der
"Lehrerüberprüfungen" zusammengearbeitet.
Hauptschwerpunkt
der Arbeit des Ausschusses wurde die Unterstützung der Bürger bei ihrer Suche
nach Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht. Alle vom NEUEN FORUM Nordhausen bearbeiteten Fälle
wurden von Holger Wengler (NEUES FORUM) "mitgebracht" und vom Ausschuß zur Bearbeitung übernommen.
Mit
der Einrichtung des Ausschußbüros Anfang 1991 im
Haus II des Landratsamtes, später in der Geseniusstraße,
wurde der Ausschuß und im speziellen sein
Vorsitzender erheblich entlastet, da sich bis dahin überwiegend alles in der
Wohnung der Familie Wengler abspielte. Vor allem aber wurde damit auch für
die Bürger eine Anlaufstelle geschaffen, bei der sie über ihre Erfahrungen
mit dem Staat DDR sprechen oder ihre Anliegen an den Ausschuß
vorbringen konnten. Hier wurde (soweit gewünscht) der Schriftverkehr zwischen
dem Bürger und den Behörden geführt, Anträge aufgesetzt bzw. ausgefüllt,
Dokumente für die Bürger angefordert - kurz, die Gewißheit
gegeben, diese Stelle hilft weiter. Außer Petitionen waren der größte Teil zu
bearbeitender Dinge Vorgänge hinsichtlich
strafrechtlicher/beruflicher/verwaltungsrechtlicher Rehabilitierung, Internierungen,
Anliegen von ehemaligen Antragstellern auf ständige Ausreise.
Es
wurde in einigen Fällen viel für die Betroffenen erreicht: Gerichtsbeschlüsse
"strafrechtliche Rehabilitierungen", Auffinden von Dokumenten zum
betreffenden Fall, Auszahlungen der zustehenden Folgeansprüche aufgrund von
Rehabilitierungen, Informationen über das Schicksal eines vermißten
Angehörigen, Wiedereinstellung in den Beruf - "Rehabilitierung" für
eine Kündigung zu DDR-Zeiten. Es ist aber auch festzustellen, daß vieles lediglich begonnen werden konnte - auch
aufgrund fehlender Gesetze.
Durch
die unbürokratische Unterstützung der Opfer des DDR-Regimes schafften der Ausschuß und seine Mitarbeiter Lutz Jödicke, Hannelore Golla und Katrin Wenkel eine Basis des Vertrauens. Darauf aufbauend war es
möglich, eine ganze Reihe von interessierten und aufgeschlossenen Bürgern zur
Mitarbeit bei den begonnenen Forschungsprojekten des Ausschusses zu gewinnen.
Diese unterstützten mit Privatunterlagen, subjektiven Berichten etc..
Die
Forschungen waren darauf gerichtet, die Geschehnisse (z. B. Zwangsaussiedlungen, Internierungen) und
politischen Tatsachen (z. B. Kreisdienststelle Nordhausen des MfS, MfS - Deutsche Post, Internierungs-/Isolierungslager) in
der Zeit vom 08.05.1945 bis 02.10.1990 in unserem Territorium aufzuhellen und
damit das Kapitel Sowjetische Besatzungszone/DDR - Kreis Nordhausen für
spätere Generationen zu dokumentieren. Forschungen wurden u. a. zu folgendem
durchgeführt:
-
Isolierungs-/Internierungslager
im Kreis Nordhausen
|
-
Recherchen zu den
geplanten politisch-operativen Maßnahmen der Staatsorgane zur Absicherung
des 01.05.1988/30.04.1989/01.05.1989 im Kreis Nordhausen
|
-
lnternierungen/SMT-Verurteilungen
(Betroffene des Kreises Nordhausen).
|
Daß etwas geleistet wurde,
beweisen die zahlreichen Kontakte und die Zusammenarbeit des Ausschusses -
von den Opferverbänden über die Staatsanwaltschaften bis hin zu
Bundesbehörden - mit nahezu allen an der Problematik
Vergangenheitsbewältigung Bemühten. Nicht zuletzt fand der Ausschuß durch diese Stellen in Büchern,
Publikationen
und Presseartikeln Erwähnung.
Der
Ausschuß für Vergangenheitsbewältigung und
Petitionen des Kreistages Nordhausen stellte seine Tätigkeit mit Ende der
Legislaturperiode 1990/1994 ein. Als einer der wenigen konnte er in dieser
Zeit bestehen bleiben, denn es ist trotz massiver Versuche (auch von der
Thüringer Landesregierung) in den vier Jahren nicht gelungen, den Ausschuß aufzulösen.
Der Fall Gustav Krause, Jahrgang 1888, Kaufmann
1947 bis 1948 Stellvertretender Landrat
im Landkreis Nordhausen
Gustav
Krause (ehemals SPD), wohnhaft in Branderode, wurde
am 16. Juli 1949 wegen illegaler Überführung der Bevölkerung über die
Demarkationslinie verhaftet, veranlaßt durch die
Sowjetische Kontrollkommission (SKK). Daß dies der
tatsächliche Grund war, ist mehr als zu bezweifeln.
Aus
Unterlagen eines Mithäftlings geht hervor, daß mit
ihm auch sein Chauffeur Karl Dommerich verhaftet
wurde. Das Sowjetische Militärtribunal in Weimar verurteilte Gustav Krause am
01.10.1949 zu 10 Jahren Strafarbeitslager. Das Internierungslager
Sachsenhausen, die Haftanstalt Untermaßfeld sowie die Vollzugsanstalt Torgau
sind Stationen seines Leidensweges.
Karl
Dommerich wurde ebenfalls in Sachsenhausen und Untermaßfeld
inhaftiert, danach kam er nach Brandenburg - weiteres ist nicht bekannt.
Am
19.07.1952, um 10.30 Uhr, verstarb Gustav Krause. Als Todesursache wurde
angegeben: Herz- und Kreislaufschwäche (Miliartuberkulose).
Als
Ergänzung hierzu: Die Ehefrau des stellvertretenden Landrates, Klara Krause,
und seine Schwiegermutter, Johanna Richard, wurden bei der ersten großen Zwangsaussiedlung im Jahre 1952 von Branderode in
den Landkreis Erfurt, Großmölsen, deportiert.
In:
JAHRBUCH (des) Landkreis(es) Nordhausen / hrsg. vom Landratsamt Nordhausen. -
1. (?) Auflage. - Nordhausen : Verlag Neukirchner. – Vol./Bd. 2 (1994). -
Schutzgebühr: 15,00 DM. - Mai 1995. - ISBN 3-929767-10-4 (formal falsche
ISBN). - III. Teil. – S./p. 126-129
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